Radikal

BSLA-Standpunkt

Radikal – ein Plädoyer für Veränderung

Veränderung jetzt! Die Gelegenheit ist günstig, die Voraussetzungen sind ideal: Die Welt von morgen ist grün. Vieles, was vor wenigen Jahren noch unmöglich schien, kann plötzlich Realität werden. Die gesellschaftlichen und politischen Werte haben sich gewandelt, die Landschaftsarchitektur hat Rückenwind.

Dieser Rückenwind ist weniger unseren Leistungen zu verdanken, als vielmehr durch die globalen Krisen ausgelöst worden. Die Landschaftsarchitektur hat sich bisher kaum als treibende Kraft des gesellschaftlichen Wertewandels hervorgetan. In den politischen Debatten wie im Bewusstsein der breiten Bevölkerung ist sie praktisch inexistent. Dennoch sind unsere Auftragsbücher randvoll; Innovation ist angesichts der (noch) blühenden ökonomischen Situation ein Freifach. Wir laufen Gefahr, die anstehenden, wichtigen Weichenstellungen für die Zukunft der Schweizer Landschaftsarchitektur kollektiv zu verschlafen!

Unsere Disziplin birgt beträchtliches Potenzial, Teil der Lösung zu sein und massgeblich zu einer intakteren, lebenswerteren und nachhaltigeren Umwelt beizutragen. Doch dafür brauchen wir den Mut und das Engagement, unser Wirken als Landschaftsarchitekt:innen radikal zu verändern. Die Metamorphose schöpft aus umfassender Kompetenz und beruht auf neuem Wissen. Sie setzt eine aktive Veränderung unserer Denk- und Arbeitsweise voraus. Sie bedingt neue Strategien und Wege, uns in den aktuellen gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Dieser BSLA-Standpunkt ist ein Plädoyer für Veränderung – in vier Thesen.

1  Kompetenzen schärfen – unentbehrlich werden

Gemäss Europäischer Landschaftskonvention ist «alles» Landschaft – «[…] natürliche, ländliche, städtische und verstädterte Gebiete». Landschaftsarchitekt:innen sind Generalist:innen für dieses «Alles». Vor Selbstüberschätzung sei gewarnt, denn dieses «Alles» ist gross, vielschichtig und sehr komplex. Es stellt unsere Querschnittsdisziplin vor enorme Herausforderungen.

Will die Landschaftsarchitektur bei diesem Paradigmenwechsel eine bedeutendere Rolle als heute wahrnehmen, müssen wir die Komplexität verstehen, lernen, sie in unsere Arbeit zu integrieren und zu koordinieren, aber auch, sie gegen aussen zu vermitteln und zu moderieren. Dies bedingt ein holistisches Raumverständnis, welches sämtliche raumwirksamen Kräfte und Beziehungen mit einbezieht, sowie die Fähigkeit, Prozesse und Systeme in verantwortlicher Rolle mitzugestalten.

Der Blick für das grosse Ganze bleibt eine zentrale Kompetenz. Darüber hinaus müssen wir Landschaftsarchitekt:innen uns verstärkt spezialisieren und profilieren. In allen Aufgabenfeldern kompetent und innovativ zu sein, ist unmöglich und führt nicht erst mit der zunehmenden Komplexität der Aufgaben zu Überforderung. Ohne die Schärfung unserer Kompetenzen und ohne die Aneignung von spezifischem Wissen sind wir ersetzbar und versinken in der Bedeutungslosigkeit. Entsprechend gilt es, die Spezialisierung radikal auf die zukünftig relevanten Themen der Landschaftsarchitektur auszurichten: Auf die Qualität unserer Lebensräume, den Klimawandel, die Biodiversität; darauf, laufend zu erfassen, welche Kompetenzen unsere Profession in Zukunft am dringendsten braucht und welche Innovationen uns unentbehrlich machen.

Die Neuprofilierung der Schweizer Landschaftsarchitektur muss uns in den Vertiefungsgebieten zu Spezialisten, im Breitenwissen vielschichtiger und in der Teamzusammensetzung interdisziplinärer machen. Gemeinsam decken wir eine grössere Breite an Themenfeldern mit einer hohen Qualifikation ab. Neue Kooperationen, der Aufbau von neuen Netzwerken innerhalb unserer Disziplin sowie mit verwandten Disziplinen und der Wissenstransfer innerhalb der Branche werden zur Chance und Notwendigkeit für eine erfolgreiche Zukunft. Zusammen bewirken wir mehr, gemeinsam sind wir relevanter.

2  Arbeitsweisen erweitern – mehr experimentieren

Die aktuellen Herausforderungen und Tendenzen zeigen eine Verschiebung von der Relevanz des Bauens zur Relevanz der Denkarbeit. Das Bauen bleibt Teil der Lösungsfindung für konkrete Problemstellungen. Doch Prozesshaftigkeit, Kreisläufe, Anpassungsfähigkeit und Partizipation rücken stärker in den Fokus der Planungsaufgaben. Der Kern unserer Arbeit bleibt das Vereinen räumlicher, gestalterischer und soziokultureller Qualitäten im Freiraum und in der Landschaft generell. Doch die Basis verändert sich: Landschaftsarchitektur muss künftig radikal auf die Bedürfnisse der Menschen und auf die Prinzipien der Nachhaltigkeit ausgerichtet sein.

Entsprechend gilt es, neue Arbeitsweisen und Projektformen zu wagen: Programmatisch, strategisch, digital, performativ, wissenschaftlich, situativ. Klar ist: Die klassische Projektarbeit nach SIA-Leistungsphasen – und deren Honorierung – deckt solche neuen Herangehensweisen nicht ab. Genauso ist klar, dass Autorendenken dabei im Weg steht. Transdisziplinarität, neue Partnerschaften, Konstellationen und Methoden sind gefragt. Wir müssen Lust an der Prozessoffenheit entwickeln und den Umgang mit Unsicherheiten lernen: Ermöglichen, initiieren, bewirken und dabei spielerisch und experimentell sein.

Nach diesen neuen Aufgabenfeldern und Projekten gilt es proaktiv zu suchen, sie zu erschliessen und, wenn nötig, zu erfinden. Scheitern ist bei diesem kollektiven Experimentieren absehbar, erlaubt und einzukalkulieren. Daraus zu lernen eine Notwendigkeit. Der Fokus liegt weniger auf Ergebnissen, sondern auf Erkenntnissen und Erfahrungen. Innovative Landschaftsarchitektur als kreative und entwerferische Disziplin kann und soll in diesen Projekt- und Arbeitsformen in Zukunft vermehrt die Führungsrolle übernehmen und damit neue Relevanz erlangen.

3. Wissen generieren – Exzellenz anstreben

Unabhängig von Massstab, Kontext und Aufgabengebiet: Die Fragestellungen, mit denen wir uns befassen, sind vielfältig und hochkomplex. In Forschung und Praxis Wissen zu generieren und zu vermitteln, wird zu einem neuen Aufgabenfeld von grösster Bedeutung werden. Die laufend neu gewonnen Erkenntnisse zu den aktuellen und künftigen Herausforderungen – lokal, national und international – müssen in die Arbeiten einfliessen. Wir müssen bereit sein, ständig Neues zu lernen und Bekanntes zu hinterfragen. In der Praxis sind wir gefordert, durchaus mit dem branchentypischen Pragmatismus, relevantes Wissen zu bestimmten Herausforderungen aufzubauen und uns darüber auszutauschen.

Andere Fragestellungen bedürfen einer intensiven akademischen Auseinandersetzung. Daher müssen wir uns für einen Ausbau und eine Diversifizierung der Ausbildungs- und Forschungslandschaft im Bereich der Landschaftsarchitektur stark machen und gezielt den Nachwuchs fördern. Junge Menschen gilt es für unser Aufgabenspektrum zu begeistern und Jobs attraktiv zu gestalten, ansonsten wird die Schere zwischen unserer Kleinstpopulation und den explodierenden Aufgaben schnell weiter aufgehen.

Dafür sind nebst der Fachhochschulausbildung universitäre Vollstudiengänge mit Bachelor und Master in Landschaftsarchitektur notwendig. Nur so ist es möglich, Ausbildungsstätten mit unterschiedlichen Profilen zur Auswahl zu stellen und zusätzliche, exzellent ausgebildete Fachkräfte zu gewinnen – was wiederum ermöglichen wird, mehr Mittel für Forschung, Expertenwesen, Doktoratsstellen oder Publikationen in unserem Fachbereich zu generieren.

Dafür braucht es aber auch ein klares Bekenntnis aus der Praxis für hervorragend ausgebildete Landschaftsarchitekt:innen mit Abschlüssen auf Master-Niveau – insbesondere auch in Form von attraktiven Bedingungen für Berufseinsteigende oder bei berufsbegleitenden Weiterbildungen. Es gilt in den Büros auch junge Kolleg:innen als Innovationstreiber:innen anzuerkennen und zu fördern, ihnen Verantwortung zu übertragen, ihre Ansichten und Ideen in der täglichen Arbeit aufzunehmen und Visionen gemeinsam zu entwickeln.

Umgekehrt sind junge Berufsleute aufgerufen, in die bestmögliche Ausbildung zu investieren, ihr Berufsleben als ständige Weiterbildung zu begreifen – sich nicht mit Mittelmass und Basiswissen zufrieden zu geben!

4. Mehr Debatte – Präsenz markieren

Eine kritische, brancheninterne Auseinandersetzung mit unserem Handeln und unserer Haltung fehlt heute fast gänzlich und im gesellschaftlichen und politischen Diskurs glänzen Landschaftsarchitekt:innen allzu oft durch Abwesenheit. Viele wichtige Weichen für die Entwicklung der Landschaft und das landschaftsarchitektonische Schaffen werden früh in den Entscheidungsprozessen gestellt. Doch wir bringen uns oft nur an deren Ende ein.

In Zeiten des Umbruchs ist die Meinungsbildung durch Austausch und gegenseitiges wie auch selbstreflektiertes Hinterfragen von besonderer Bedeutung. Sie bildet die Basis, um gesellschaftliche Entwicklungen zu erkennen, mitzuprägen und bestenfalls voranzutreiben. Dafür müssen wir weitaus häufiger als heute Positionen beziehen und verfechten, damit anecken, aufrütteln – Debatten lancieren, die uns als Profession sichtbar machen und weiterbringen. Unterschiedliche Meinungen sind dafür kein Hindernis, sondern eine Voraussetzung.

Damit unser Wirken relevanter wird, müssen wir Entscheidungsprozesse beeinflussen, unsere Haltung und unsere Kompetenz früh einbringen. Wir müssen politisch aktiver werden, uns in der Gesellschaft Gehör verschaffen, rechtliche Rahmenbedingungen stärker mitprägen, Allianzen schmieden und insbesondere lernen, uns strategisch im richtigen Moment einzubringen und einzumischen. Jede und jeder von uns kann hierzu einen Beitrag leisten; Einzelpersonen genauso wie Firmen, Hochschulen, Behörden und selbstverständlich der Berufsverband. Die Plattformen sind da: politische Ämter und Aktionen, Verwaltungen auf allen Staatsebenen, Verbände und Arbeitsgruppen, Verlage und Galerien, Schulen und Podien, Magazine und soziale Medien. Es ist an uns, diese Plattformen zu bespielen und lauter zu werden. Selbstkritisch. Aber auch selbstbewusst.

Erarbeitet im Auftrag des BSLA von:

S2L Landschaftsarchitekten BSLA SIA

  • Daia Stutz, Landschaftsarchitekt MLAUD Harvard GSD BSLA
  • Jan Stadelmann, Landschaftsarchitekt MSc Urbanistik TUM BSLA

Inhaltliche Begleitung:

  • Ingo Golz, Landschaftsarchitekt MLA BSLA SIA
  • Sandra Kieschnik, Dipl. Ingenieurin für Landschaftsarchitektur TU BSLA
  • Stefan Kurath, Prof. Dr., Architekt und Urbanist
  • Martina Voser, Dipl. Architektin ETH Landschaftsarchitektin
  • Peter Wullschleger, Landschaftsarchitekt FH BSLA

Das Jahrbuch des BSLA Anthos 2022 ist ebenfalls dem Thema gewidmet.

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